Im Vorfeld der Veranstaltung Stimmig! haben wir zahlreiche Menschen mit Demenz gebeten, ihre Forderungen an die Gesellschaft zu formulieren. Aufbauend auf dieser Arbeitsgrundlage haben wir die verschiedenen Workshops, Vorträge und Talkrunden der Veranstaltung entwickelt.
Einen Teil der Forderungen möchten wir hier wieder geben.
Kieler Betroffenen-Gruppe
Die Kieler Betroffenen-Gruppe „Leben mit der Diagnose Demenz“ hat gemeinsam mit der Gruppenleitung, Michaela Kaplaneck, folgende Wünsche und Forderungen an
Partner/Familie/Freunde/ Öffentlichkeit/ Ärzte/Fachkräfte usw.
formuliert und wollte, dass diese in die Veranstaltung „Stimmig! Menschen mit Demenz bringen sich ein“ mit einfließen.
- …an die Partner/Familie
- „Entmündige mich nicht“
- „Betone nicht das, was ich schlecht mache, sondern das, was ich noch gut kann“
- „Gehe geduldig mit mir um und höre mir zu“
- „Sei weiterhin ehrlich und fair mit mir“
- „Lass mich selbst entscheiden, wem ich von meiner Demenz erzähle und wem nicht“
- …an die Öffentlichkeit
- „Ich möchte nicht auf meine Demenz reduziert werden“
- „Ich möchte dass ihr wisst: es geht mir nicht nur schlecht! Das Bild der Menschen mit Demenz in der Öffentlichkeit muss sich dringend ändern“
- …an die Fachkräfte, die mit/für uns arbeiten
- „Nehmt uns ernst“
- „Schaut mehr auf uns, nicht immer nur auf die Angehörigen (z.B. beim Alzheimer-Tanz-Cafe)“
- „Seid sensibel im Umgang mit uns, besonders, wenn einmal mehr Hilfe nötig sein wird“? „Wenn ich von einem Betreuungsassistenten begleitet werden muss, komme ich mir doch vor wie der Hund an der Leine“
- „Ich möchte auch mal sagen können: „wenn es so schlimm ist mit mir, dann will ich nicht mehr leben“? zuhause kann ich sowas gar nicht sagen“
- …an den medizinischen Bereich
- „Der Diagnostik-Prozess muss erleichtert werden: schneller Termine bekommen, keine unnötigen Untersuchungen, die nötigen Untersuchungen ambulant machen können, Kasse soll die Kosten dafür tragen (z.B. PET)“
- „Sprecht nicht von „Früherkennung“ ohne eure Grenzen der Diagnostik /Therapie deutlich zu machen“
Eine Aufforderung an andere Betroffene:
„Seid selbstbewusst und versucht eure Erkrankung anzunehmen. Sucht lieber nach Bewältigungsmöglichkeiten, als alles zu verdrängen.“
Münchner Betroffenen-Gruppe
Die Münchnchner Betroffenen-Gruppen der Projekte „DemiL und TrotzDemenz“ ließen uns, über ihre Guppenleiterin Doris Wohlrab, folgende Forderungen zukommen.
- „Ich möchte mich engagieren für die Sache“
- „Ich möchte eine Spalte in einer Zeitschrift, wo Betroffene für Betroffene schreiben.“
- „Es gibt einen Behindertenbeauftragten und es bräuchte noch einen speziellen Beauftragten für neurologische Erkrankungen oder Demenz.“
- „Öffentlichkeitsarbeit ist zu wenig. Man sieht zu Alzheimer immer nur alt, abgeschoben und verwirrt. Man sieht nicht den Begin.“
- „Es ist nicht fair, dass Betroffene viele Versicherungen, die sie brauchen würden, dann nicht mehr abschließen dürfen.“
- „Es ist alles zu schaffen, aber nicht alleine. Wir dürfen nicht alleine gelassen werden.“
- „Es ist wichtig, dass in der Gruppe Fachpersonen sind, das zeigt uns, dass wir wichtig genommen werden.“
- „Fachleute können uns nur verstehen, wenn sie solche Menschen wie uns kennen.“ (in der frühen Phase ist wohl gemeint. Anm. der Red.)
- „In Rehakliniken sollte mehr darauf geachtet werden, dass jemand mit einer Demenz einen Begleiter hat.“
- „Wenn Leute merken, dass ich mir schwer tue, sollten die auf mich zugehen und fragen, ob sie mir helfen können, z.B. beim Einkaufen, wenn ich etwas nicht finde.“
- „Die anderen sollen mir zeigen, dass ich noch dazu gehöre. Dass man das so akzeptiert, wie es ist.“
- „Andere sollen nicht abschätzig über Demenzkranke reden, z.B. dass die total verwirrt wären. Ich finde jeder sollte versuchen, darauf einzugehen und nicht böse Sprüche zu machen.“
- „Beim Thema Autofahren hätte man anders mit mir reden müssen, dass ich besser verstehen könnte.“ „Gut wäre es, wenn es im Heimen Arbeiten gäbe, wo man noch was sinnvolles tun kann und mitarbeiten kann.“
- „Regelungen bei jüngeren Erwerbsminderungsrentner müssen geändert werden. Man darf nur 400 Euro sonstige Einkünfte haben (z.B. Mieteinnahmen, Ertrag aus privaten Solaranlagen), alles darüber wird besteuert. Dabei haben jüngere MmD oft noch Kinder zu ernähren und EU-Rente ist bei jüngeren Menschen sowieso geringer. Außerdem muss man bei privaten Berufsunfähigkeitsrenten dann auch noch extra Krankenversicherung und Pflegeversicherung bezahlen, auch da werden die kleinen Leute wieder geschröpft. Das Geld reicht in so einer Situation sowieso nicht.“
Einzelne Betroffen, weltweit
In Vorbereitung zu dem Buch „Ich spreche für mich selbst – Menschen mit Demenz melden sich zu Wort“, das zu "Stimmig!" erschienen ist, haben Mitarbeiter von Demenz Support Stuttgart viele Gespräche mit Betroffenen geführt und Publikationen aller Art durchforstet, auch um Forderungen und Wünsche von Menschen mit Demenz zu sammeln und diese in dem Buch zu publizieren.
Im Folgenden veröffentlichen wir einen Auszug aus „Ich spreche für mich selbst – Menschen mit Demenz melden sich zu Wort“, der den Forderungen und Wünschen von Menschen mit Demenz gewidmet ist:
Wünsche und Forderungen an die Umwelt
- „Ich glaube, dass diejenigen, bei denen eine Form von Demenz festgestellt wurde, eine Verantwortung für sich und ihresgleichen tragen, aufzustehen und sich zu Wort zu melden.“
Wünsche an das medizinische System und zur Diagnosestellung
- „Bezieht den Patienten etwas mehr in den Prozess ein und helft uns zu verstehen, warum bestimmte Tests gemacht werden, in welche Richtung die Reise geht und was die nächsten Schritte sind."
- Es ist schon richtig, wenn man die Wahrheit erfährt. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass danach jemand da gewesen wäre. Jemand von einem Wohlfahrtsverein vielleicht, der einen ein bisschen auffängt. Der sagt: „Wenn Sie wollen, kann ich Sie ein bisschen begleiten. Auf keinen Fall sollte man allein zu Hause sitzen.
- „Diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, sollten uns ernst nehmen und vor allem ein Ohr für unsere Fragen und Sorgen haben. Schiebt uns nicht einfach ein anderes Medikament über den Tisch, um uns aus der Praxis zu bekommen – behandelt uns, als wären wir eure Mutter, euer Vater, eure Schwester oder euer Bruder.“
Wünsche an den engen Umkreis aus Familie, Freunden und Bekannten
- „Ich denke, meine Familie könnte nachsichtiger mit mir sein, wenn ich mich an bestimmte Dinge nicht erinnere, anstatt zu sagen: ‚Das habe ich Dir doch schon gesagt!’ Ich vergesse doch nicht, nur um sie zu ärgern!“
- „Die Arbeit war mein ganzes Leben, aber damit war es plötzlich vorbei. Meine Freunde fragten mich: „Was wünscht du dir?“ Meine Antwort lautet: Was ich mir wünsche unterscheidet sich nicht sehr von dem, was ihr euch wünscht. Ich will mit Euch zum Mittagessen gehen und über Alzheimer sprechen, aber ich will auch über Sport sprechen. Ich will das gleiche Leben leben wie vorher.“
- „Ich steh 1 ½ Stunden auf der Kegelbahn. Ich mach 200 Schub, gell also da hab ich genug zu tun. Aber von der anderen Seite, es ist so wie sie auch sagen, mei es gibt einmal Tage da bist nicht so gut drauf und es gibt Tage, da bist wieder besser drauf, das ist ganz normal, aber das wichtigste ist einfach, dass die äh sag mer mal, die Kegler das akzeptieren.“
- „Wenn ich drei Mal was frag, ja gut, das ist halt so. Das muss akzeptiert werden, ja.“
Wünsche an die Mitbürger
- „Bitte heißt Menschen mit einer Demenz willkommen, statt euch von ihnen zu verabschieden.“
- „Ich denke so oft, dass die Menschen für uns sprechen oder einfach unterstellen, was wir wollen.“
- „Ich wünsche mir, dass andere mit mir reden und mir zuhören. Ich möchte, dass sie mir Fragen stellen, auch wenn ich nicht alle Antworten weiß.“
- „Ich will so behandelt werden, als ob ich das gleiche Potenzial besitze wie Du, nur dass es eben schwieriger für mich ist, es umzusetzen“
- Wenn der zum Kindergarten geht und da hats so eine Betreuerin, die mag auch ganz toll zu den Kindern sein und so. Aber wenn die dann sagt: Der hat ja Alzheimer! Dann denkt da der ganze Kindergarten, dann denken die alle: Um Gottes willen! Das geht doch nicht so! Das ist sicher eines der schlimmsten Dinge bei Alzheimer, dass da so eine ziemlich frühe Entmündigung des Betroffenen passiert.
- „Ich bin nicht unfähig und ich will nicht so behandelt werden, als ob man mir nicht zutrauen könnte, bestimmte Dinge zu tun. Ich sehe das als einen Balanceakt, der kontinuierlich geleistet werden muss.“
- „Wenn man im Supermarkt an der Kasse steht, dann ist es schon ganz schön peinlich, wenn die von hinten drängeln: ‚Warum geht denn der Depp ‚ned weiter? Und was weiß ich sonst noch so in der Art. Das passiert. Das ist dann peinlich.“
- „Ich bin Sylvia. Ich war Sylvia, bevor man bei mir eine Demenz festgestellt hat und auch nachdem man mir die Diagnose mitgeteilt hat, bin ich immer noch Sylvia. Ich bin immer noch dieselbe Person – also behandelt mich entsprechend. Redet mit mir wie sonst auch. Bezieht mich ins Gespräch ein, so, wie ihr es vorher auch getan hättet.“
- „Schließt uns nicht durch Eure Freundlichkeit und Herzensgüte aus der Entscheidungsfindung aus! Immerhin gilt der Satz: „Benutze es, sonst verlierst Du es!“ Wenn du jemandem etwas wegnimmst, wird er oder sie es niemals zurückbekommen.“
- „Man braucht jemanden, der uns in der Öffentlichkeit unterstützt. Ich sag jetzt mal Philip Lahm, über den hab ich grad heute in der Zeitung gelesen.. Der setzt sich doch für benachteiligte Kinder ein. So einen brauchen wir auch“.
Wünsche an die kommunalen und öffentlichen Strukturen und Organisationen
- Man müsste Leute in bestimmten Positionen, zum Beispiel Politiker aus dem Gesundheitsministerium, mal zu einer Veranstaltung einladen. Da könnten sie dann mal sehen, wie wir drauf sind, was wir noch alles können, damit sie sich dann auch ein bisschen einsetzen. Wir sind auch ein wichtiger Teil dieser Gesellschaft!
- „Ich wünschte, Menschen mit Demenz wären in den Vorstandsgremien jeder Organisation, die in unseren Namen Geld sammelt. Ich wünschte, wir wären als Angestellte, Freiwillige und Fundraiser in solchen Organisationen tätig.“
- „Ich möchte integriert werden, mit den Fähigkeiten die ich heute noch hab. Ich will nicht in Rente gehen.
- „Also diese Behörden, die müssen sensibilisiert werden, und müssen uns eine Chance geben.. Auch wenn eine 60 odert 62 ist!, Denn man soll ja bis 67 arbeiten oder bis 65 und wenn dann eine Demenz diagnostiziert wird, dann, gibt es sicher Möglichkeiten, dann muss es auch Möglichkeiten geben.. Die Leute werden für jeden Schmarrn geschult, für alles. Ja dann sollen die auch mal ein paar Leute für diesen Bereich schulen.“
- „Demenzfreundliche Kommunen sollten sich nicht von anderen freundlich-zugewandten und unterstützenden Gemeinwesen unterscheiden. Die Leute sollten sich umeinander kümmern. Sie sollten Unterstützung anbieten und wenn die dankend abgelehnt wird, sollten sie einen Schritt zurück machen. Wenn sie dankend angenommen wird, sollte die Person durch die Unterstützung in die Lage versetzt werden, voll und ganz das zu sein, was sie sein kann“