„Die Stimmen der Menschen mit Demenz hörbar machen. Was können wir tun? Selbsthilfe- und Betroffenengruppen als Ausgangspunkt für gesellschaftliche Teilhabe“
Protokoll
Teilnehmerzahl: 105
Impulsgeber: Michaela Kaplaneck (Kiel), Doris Wohlrab (München), Ellen Ensinger-Boschmann (Mannheim), Helga Rohra (München), James McKillop (Schottland), Richard Taylor (USA), Peter J. Whitehouse (USA) sowie Diskussionsbeiträge von Helga Schneider-Schelte (Berlin).
Moderation: Falko Piest, Peter Wißmann
Teil 1: Das Inland
Helga Rohra schildert, wie sie nach Erhalt ihrer Demenzdiagnose den Weg zu der Münchener Gruppe Demenzbetroffener fand und welche Bedeutung dieses Aufgefangenwerden in und durch eine Gruppe von „Schicksalsgenossen“ für sie hatte. Frau Rohra fordert, dass niemand, der gerade ein derart einschneidendes Ereignis wie die Eröffnung der Diagnose Demenz hinter sich hat, allein gelassen werden darf. Eine Person in einer solchen Situation muss vielmehr aufgefangen werden. Hierbei spielen (Unterstützungs-)Gruppen eine zentrale Rolle.
Nach allem, was wir wissen, gibt es heute in Deutschland bereits einige Unterstützungsgruppen für Menschen mit einer Demenzdiagnose. (Für Österreich und die Schweiz wäre dies erst noch zu überprüfen). Wie viele Gruppen genau es bislang gibt, ist nicht bekannt. Es fehlt bisher noch an Wissen voneinander und es fehlen insbesondere Kommunikations- und Vernetzungsstrukturen. Bedeutsam ist weiterhin, dass sich die Gruppen in ihrer inhaltlichen Ausrichtung und Arbeitsweise unterscheiden. In der Werkstatt wurden drei Gruppen und deren Ansätze vorgestellt:
Die Mannheimer Gruppe versteht sich explizit als „Erlebnisgruppe“. Das bedeutet, dass die Teilnehmer im Gruppenkontext eine Möglichkeit sehen, den Anschluss an die Gesellschaft zu halten und ein Stück sozialer und kultureller Teilhabe zu praktizieren. Im Vordergrund stehen gemeinsame Freizeit- und kulturelle Aktivitäten.
Die Münchener Gruppe verfolgt ein psychoedukatives Konzept. Im Rahmen eines mehrteiligen Seminars mit acht aufeinander folgenden wöchentlichen Gruppentreffen setzen sich Menschen mit einer Demenzdiagnose (und ihre Angehörigen) mit speziellen Themen auseinander. Ziel ist die Unterstützung bei der Entwicklung von Bewältigungsstrategien.
Die Kieler Gruppe versteht sich vorrangig als ein geschützter Raum, in dem Menschen mit einer Demenzdiagnose frei sprechen und sich austauschen können. Die Themen werden von den Gruppenteilnehmern selbst bestimmt. Vorträge externer Fachleute (Ärzte usw.) werden von den Teilnehmern nicht gewünscht.
Alle drei Gruppen werden von entsprechend qualifizierten beruflichen Fachleuten moderiert.
In der Diskussion wurde deutlich, dass die unterschiedlichen Ansätze der Gruppenarbeit spezifische Funktionen erfüllen und dass es nicht ein allgemeingültiges Modell geben kann, sondern vielmehr ganz unterschiedliche Bedürfnisse befriedigt werden müssen.
Übereinstimmung bestand in der Einschätzung, dass Betroffenengruppen eine zentrale Funktion für Menschen mit einer Demenzdiagnose besitzen, dass solche Gruppen bestehen bzw. ins Leben gerufen werden sollten und dass zwischen den bestehenden Gruppenangeboten ein Kommunikations- und Vernetzungszusammenhang entwickelt werden sollte.
Teil 2: Das Ausland
James McKillop erläuterte die Arbeit der Scottish Dementia Working Group (SDWG), die von ihm und anderen Betroffenen im Jahr 2002 in Schottland gegründet worden ist. Die SDWG versteht sich explizit als Gruppe von Betroffenen als Aktivisten und betreibt sowohl im engeren als auch weiteren Sinn politische Arbeit. So gibt sie beispielsweise Informationsmaterialien für Betroffene heraus, entwickelt Öffentlichkeitskampagnen und berät politische Gremien und Funktionsträger.
Download: Impulsreferat James Mc Killop
Richard Taylor und Peter J. Whitehouse führen aus, dass es in den USA (ebenso wie in Deutschland) keine vergleichbare Organisation Betroffener wie die SDWG gibt. Richard Taylor sieht einen gangbaren Weg, um die Stimme der Betroffenen hörbar zu machen, darin, als Betroffener Angehörigen, Profis und anderen Personengruppen aus erster Hand über das Erleben und die Situation von Menschen mit Demenz zu berichten. Er selbst hält in den USA viele Vorträge vor Angehörigengruppen und Pflegekräften. Auch das Schreiben von Texten und Büchern kann für ihn ein solcher Weg sein (nicht nur das Schreiben von Menschen mit Demenz selbst, sondern auch Formen des unterstützten Schreibens, wie etwa in dem soeben erschienenen
DeSS-Buch: „Ich spreche für mich selbst“ erprobt).
Peter J. Whitehouse weist auf die Bedeutung und (destruktive) Macht von Begriffen hin („Alzheimer-Krankheit“) und appelliert, sich – ähnlich wie in Japan – gegen eine stigmatisierende Etikettierung und Terminologie zu wehren und diese zu verändern. Gruppen von Menschen mit Demenz können bei all dem eine zentrale Rolle spielen.
Teil 3: Pläne
- Für existierende Gruppen von Menschen mit Demenz und Personen/Gruppen, die solche Angebote initiieren möchten, soll ein Kommunikations- und Informationskontext geschaffen werden. Interessierte wenden sich an
info@demenz-support.de.
Demenz Support Stuttgart und Alzheimergesellschaft werden dieses Anliegen weiter verfolgen, bleiben hierzu im Gespräch und koordinieren Aktivitäten. - 2010 oder 2011 wird es eine Tagung „Soziale Arbeit und Demenz“ geben, bei der die Frage von Gruppen für/von Menschen mit Demenz, gesellschaftliche Teilhabe und Selbstvertretung eine zentrale Rolle spielen werden (hierauf haben sich Prof. Heinz Bartjes / Hochschule Esslingen und Demenz Support Stuttgart bereits verständigt)
- Der Kontakt und Austausch zum englischsprachigen Ausland (Schottland, England, USA) wird in diesem Zusammenhang gehalten und gepflegt.