Ide­en­werk­statt 2 - "Kul­tur"

Icon Headline"Es gibt viele Sprachen. Ausdruck über Lyrik, Prosa und Theater"

Protokoll

Teilnehmerzahl: 64
Impulsgeber: Barbara Narr, John Killick, Klaus Bremen
Moderation: Sylvia Kern, Michael Ganß

Teil 1: Impulse

Barbara Narr stellte ihre intergenerative Theaterarbeit vor. In dieser geht es darum, lebensgeschichtliche Ereignisse aufzurufen und zur Auseinandersetzung mit diesen Auseinandersetzungen anzuregen, d.h. in einen gegenseitigen Austausch zu gehen, um daraus im interaktiven Geschehen mit Unterstützung durch B. Narr ein Bühnenstück so zu choreografieren, dass es vor Publikum aufgeführt werden kann.
In der theatralischen Arbeit mit den Personen mit einer Demenz greift B. Narr immer wieder auch auf Ausdrucksweisen zurück, die diesen Personen im Alltag eigen sind, die von der Umwelt meist jedoch nicht wahrgenommen oder nicht wertgeschätzt werden (können). Über die Choreografie werden solche persönlichen Ausdrücke aus dem alltäglichen Kontext gelöst und ähnlich wie ein „ready made“ in den künstlerischen Raum gestellt (Anm. d. Verf.: der Begriff „ready made“ geht auf Marcel Duchamp zurück, der bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Alltagsgegenstände aus ihrem gewohnten Umfeld löste und zu Kunstwerken deklarierte). Durch dieses Herauslösen wird der Blick auf sie gelenkt und der entsprechende Ausdruck der Menschen mit einer Demenz kann leichter wahrgenommen werden. Häufig wird hierdurch aus einem solchen Ausdruck eine Mitteilung, die zu weiterer Interaktion anregt.
Dies gilt für verbale Äußerungen ebenso wie für Handlungen oder Verhaltensweisen, die als individuelle Artikulation angesehen werden können. Hierbei bedingt die intergenerative Form des Geschehens, dass sich gegenseitiges Interesse und Neugierde hinsichtlich der unterschiedlichen Lebenserfahrungen entwickeln können, was dann wiederum ein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis nach sich ziehen kann. Als Folge stellt sich häufig eine lebendige Interaktion ein.
Der Kontext des Spielerischen gewährleistet, dass eine verbale Beeinträchtigung nicht zu einer Interaktion- bzw. Kommunikationsbehinderung führt. Die Stücke werden im Gemeinwesen, in einer Kommune, im sozialen Nahraum aufgeführt. Neben den demenziell veränderten Personen werden deren Lebensbegleiter, Schülerinnen und Schüler (als Mitwirkende), deren Eltern sowie die BürgerInnen und Bürger des jeweiligen Sozialraums (des Ortsteils, Stadtviertels o.ä.) eingeladen.
John Killick arbeitet in unterschiedlicher Weise mit demenziell veränderten Menschen, konzentrierte sich an dieser Stelle jedoch ausschließlich auf seine Arbeit als Schriftsteller (Poet), in deren Zuge er aus seinen Interaktionen mit einzelnen Menschen mit Demenz Gedichte schafft. Dabei geht er mit seinem Gegenüber in ein offenes Gespräch, das vor allem durch sein interessiertes Zuhören geprägt ist. In solchen Gesprächen erschließen ihm seine Kommunikationspartner häufig ihre innere Gedankenwelt. Die Gespräche bzw. die Äußerungen seiner Kommunikationspartner werden von Killick protokolliert oder audio-aufgezeichnet. Erst nach Abschluss eines solchen Gesprächs gestaltet Killick aus dem „Wortmaterial“ verdichtete Textformen. Häufig sind dies Gedichte. Hin und wieder kommt es auch dazu, dass jemand direkt auf ihn zukommt und ihn bittet, eine konkrete Aussage aufzuschreiben.
Die von ihm gestalteten Texte bestehen ausschließlich aus den Worten seiner Kommunikationspartner (er legt großen Wert auf die Feststellung, dass er niemals auch nur ein einiges Wort hinzufügt). Das von ihm so gestaltete „Werk“ stellt er dann den Urhebern der Äußerungen / des Materials vor, aus dem es geschaffen wurde. Sie sind es, die entscheiden, wie weiter mit dem Text verfahren wird. Ist der Urheber oder die Urheberin mit der Verdichtung nicht zufrieden, wird der Text mitunter so lange umgestaltet, bis er (von der betreffenden Person) als stimmig angesehen wird. Auch entscheiden die Urheber darüber, ob sie den Text nur für sich nutzen möchten, oder ob sie für weitere Zwecke freigegeben werden – für ein Rezitieren oder gar eine Veröffentlichung.
Die Motivation zu dieser Form der Arbeit wurde von außen an ihn herangetragen. Erst in der konkreten Begegnung mit Menschen, die mit einer Demenz leben (im Zuge seiner Arbeit als „Artist in Residence“ in Pflegeheimen) wurde daraus ein aus eigener Motivation verfolgter interaktiver und schöpferischer Prozess. Auch Killick geht es darum, durch die Verdichtung des Gesagten zu erreichen, dass es von der sozialen Umwelt als „Bedeutungs-voll“ wahrgenommen werden kann. Um auf das besondere ästhetisch-kommunikative Potenzial des von Menschen mit Demenz Kommunizierten aufmerksam zu machen, werden immer wieder auch öffentliche Lesungen gehalten. Killick trug auch in der Ideenwerkstatt ein paar ausgewählte Texte vor, um an diesen die besonderen Qualitäten der Äußerungen wie auch die immensen Unterschiede des vorgefundenen Materials (in Abhängigkeit davon, welche sprachlichen Potenziale der jeweilige Sprecher/die jeweilige Sprecherin aufgrund seiner/ihrer demenziellen Veränderung aktivieren kann). John Killick sieht die Personen mit Demenz als die eigentlichen Verfasser der Gedichte an; sich selbst sieht er als eine Art „Medium“ oder „Kanal“ – ohne freilich die ko-produktive / ko-konstruktive Qualität dieses Prozesses in Abrede zu stellen.
Klaus Bremen skizzierte kurz das Theaterprojekt des Moerser Schlosstheaters, wo anhand biografischer Versatzstücke der Schauspieler mit Demenz Theaterstücke choreografiert und in einem öffentlichen Theater aufgeführt wurden. Bremen verlas einige Aussagen der Schauspieler mit Demenz, die in die Stücke integriert waren. Er schilderte die Zusammenarbeit zwischen den Profischauspielern und denen mit einer Demenz und zeigte deren gegenseitige Bereicherung auf. Im Nachklang dieser Theaterarbeit entstand ein weiteres Theaterstück über Demenz, das von den Berufsschauspielern entwickelt wurde, die ihre Erfahrungen der gemeinsamen Theaterarbeit mit Menschen mit Demenz samt ihrer Empfindungen verarbeitet und nach außen trägt (Vergiss mein nicht – Silbernagel/Wachendorf).
Im Weiteren wurden die Probleme in der Umsetzung eines solchen Projektes angesprochen und darauf eingegangen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit sich ein solches Projekt verwirklichen lässt. Ferner ging K. Bremen darauf ein, welche Wirkungen das Projekt in der Region Moers gehabt hatte. Eine Untersuchung, inwieweit über den Projektzeitraum hinaus eine Wirkung in der Region feststellbar war bzw. ist, wurde aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht durchgeführt. Auffällig sei jedenfalls, dass aus der Fachwelt (Theater, Altenhilfe) auch zwei Jahre nach Abschluss des Projekts noch immer viele Nachfragen zu den Erfahrungen gestellt werden und hierdurch angeregt, nach wie vor andere theatralische Arbeits- und Begegnungsebenen entstehen.

Teil 2: Impulse aus dem Publikum

Angestrebt war eine Diskussion über die potentiellen Möglichkeiten von Kunst und Kultur, Mensch mit Demenz Artikulationsmöglichkeiten zu eröffnen, die möglichst in den öffentlichen Raum hineinreichen. Hierbei sollte auch die Frage angesprochen werden, welche Voraussetzungen es bedarf, um derartige Artikulationsmöglichkeiten zu schaffen.
Die Diskussion wurde stark von der Frage danach bestimmt, wie künstlerisch orientierte Angebote gestaltet sein müssen, damit Mensch mit Demenz in diese integriert werden können. Es zeigte sich großer Bedarf nach einem fachlichen Austausch; immer wieder stellten Teilnehmer in Form von Statements eigene Projekte vor.

Wie soll es weitergehen?

Es wurde vereinbart, zur Thematik „Kunst und Kultur als Formen der Selbstartikulation von Menschen mit Demenz“, eine große internationale Fachtagung zu organisieren.
K. Bremen hat sich bereit erklärt, für die Beschaffung der finanziellen Mittel aktiv zu werden. Demenz Support Stuttgart hat sich bereit erklärt, die Federführung bei der inhaltlichen Gestaltung zu übernehmen. Als ein möglicher Kooperationspartner wurde die Hochschule Ottersberg genannt; hier bestehen Verbindungen zwischen K. Bremen und Hochschule einerseits und Demenz Support Stuttgart (M. Ganß) und Hochschule andererseits. Sowohl die Alzheimer Gesellschaft Nordrhein-Westfalen als auch die Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg haben Interesse an einer Beteiligung als Kooperationspartner bekundet. Darüber hinaus haben eine Reihe weiterer Workshop-Teilnehmer Bereitschaft zur Mitarbeit bei den Vorbereitungen geäußert.


Stimmig! ist eine Veranstaltung der

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